Deutschland wird älter. Die Lebenserwartung steigt. Immer mehr Menschen können sich über immer mehr gewonnene Lebensjahre freuen. Doch der demografische Wandel bringt auch Herausforderungen für das Pflege- und Gesundheitssystem mit sich. Denn es werden mehr Menschen im Alter auf Pflege angewiesen sein. Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der Pflegebedürftigen vermutlich auf über 3,5 Millionen ansteigen. Zugleich verschärft sich der Mangel an Fachkräften. Der wachsende Bedarf an Pflege durch Familien und professionelle Dienstleister sowie der berechenbare Mangel an ausgebildeten Pflegekräften stellen Gesellschaft und Gesundheitswesen vor große Herausforderungen. Schon jetzt fehlt oftmals Zeit für fachgerechte und zuwendungsorientierte Pflege und Betreuung. Antworten auf den demografischen Wandel bieten Experten zufolge vor allem digitale Technologien und Assistenzsysteme. Sie können Pflegebedürftige dabei unterstützen, möglichst lange selbstständig zu bleiben. Darüber, wie digitale Helfer den Alltag von Pflegebedürftigen erleichtern können und welche Rolle dabei den Kommunen zukommt, haben wir uns mit Tim Lange vom Berliner Start-Up Casenio unterhalten, welches solche Assistenzsysteme entwickelt.
Herr Lange, Ihr Unternehmen entwickelt und verbaut smarte Technologien, die für Sicherheit bei Pflegebedürftigen und deren Angehörigen sorgen sollen. Wie können digitale Helfer dies leisten und wo liegen die Vorteile dieser Technologien?
Tim Lange: Insbesondere alleinlebende, pflegebedürftige Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, bei Krankheit oder Unfall nicht rechtzeitig Hilfe zu erhalten. Digitale Lösungen können hier Abhilfe schaffen, indem sie automatisiert und situationsgerecht Alarm auslösen und Hilfe herbeirufen, beispielsweise den Notarzt, ein Familienmitglied oder den Nachbarn. Im Gegensatz dazu müssen analoge Notfall-Lösungen aktiv vom Pflegebedürftigen bedient werden oder lösen erst mit Zeitverzögerung automatisch einen Alarm aus – dann kann es aber schon zu spät sein.
Wie wird das bei den Casenio-Lösungen technisch umgesetzt und welche Aktivitäten werden detektiert und gemeldet?
Tim Lange: Vereinfacht dargestellt handelt es sich bei unseren Systemen um in den Wohnungen verbaute Sensoren, die Aktivitäten an eine zu benennende Zentrale melden. Unsere Sensoren sind in der Lage, Vitalfunktionen und Bewegungen des Menschen zu überwachen. Sie können beispielsweise Alarm schlagen, wenn ein demenzkranker Mensch zu ungewöhnlichen Zeiten die Wohnung verlässt, oder auch Stürze detektieren und automatisch Hilfe rufen. Unsere Systeme erhöhen die Sicherheit für die Pflegebedürftigen – und ermöglichen es, länger selbstbestimmt in den vertrauten vier Wänden zu leben. Zudem sind die plattformbasierten Lösungen aus unserem Hause offen und kompatibel für eigene Anwendungen anderer Anbieter – etwa im Bereich der Telemedizin, die durch das geplante Digitale Versorgung Gesetz (DVG) künftig einen deutlich höheren Stellenwert erhalten wird.
Sie richten sich mit Ihren Systemen auch ganz gezielt an öffentliche und kommunale Wohnungsunternehmen – warum sind Ihre Lösungen gerade für die so wichtig?
Tim Lange: Nicht zuletzt tragen unsere Lösungen zum Schutz vor Brand- und Wasserschäden bei.
Verlässt der Betroffene die Küche, werden die Gerätschaften nach einer definierbaren Zeit wieder deaktiviert. Die Sensoren detektieren z. B. Haushaltsgeräte oder Wasserarmaturen und schlagen Alarm, wenn vergessen wurde den Herd auszuschalten oder das Wasser zu lange läuft. Insofern leisten unsere Systeme auch einen Beitrag zum Erhalt der Bausubstanz, indem Wasser- oder Brandschäden verhindert bzw. rechtzeitig entdeckt werden, was natürlich ein wichtiger Faktor für Vermieter und Immobilienunternehmen ist. Das gilt natürlich insbesondere auch für öffentliche und kommunale Wohnungsgesellschaften, denen bei der Schaffung zukunftsfähiger ambulanter Pflegeinfrastrukturen eine Schlüsselrolle zukommt. Sei es durch Neubau oder Anpassung des Wohnungsbestands: Die Schaffung bezahlbarer barrierefreier und seniorengerechter Wohnungen ist Grundvoraussetzung für die lokale Stärkung der ambulanten Pflege. Der öffentliche Sektor muss hier vorangehen und entsprechend gestalteten, mit Assistenzsystemen ausgestatteten Wohnraum vorhalten.
Das klingt nach einer Mammutaufgabe für die Kommunen und ihre Wohnungsunternehmen – einer kostspieligen dazu…
Tim Lange: Keineswegs, die Installation von Casenio-Komponenten ist denkbar einfach. Es bedarf keiner baulichen Veränderungen, wodurch auch eine unkomplizierte und entsprechend günstige Nachrüstung bestehender Wohnungen gewährleistet wird. Die Sensoren werden in den jeweiligen Wohnungen an den schon beschriebenen „Gefahrenpunkten“ platziert, die unterschiedlichen Alarmierungsfenster definiert und mit den zu benachrichtigenden Personen oder Hilfsdiensten verbunden.
Ein, gerade auch im Zusammenhang mit digitalen Anwendungen, immer wichtiger werdendes Thema ist der Datenschutz – Stichwort Patientendaten…
Tim Lange: Bei allen von uns entwickelten Systemen und Angeboten, bei denen personenbezogene, teilweise sensible private Daten erfasst werden, ist die Datenhoheit und –sicherheit der betroffenen Menschen das oberste Gebot. Die Pflegebedürftigen entscheiden bei den Casenio-Lösungen selbst, welche ihrer Daten erfasst, verarbeitet und ggf. an wen weitergegeben werden dürfen.
Vielen Dank!
Veröffentlich im DeKom – Deutscher Kommunal-Informationsdienst
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